HERZZERREIßEND

 

 

Das monotone Tropfen des alten, rostigen Wasserhahns, über dem Edelstahlwaschbecken zu ihrer Rechten, hatte sie geweckt.

   Der Geruch von altem, moderigem Holz hing in der Luft, ebenso wie der noch dominantere Geruch von Rost – nur, dass es kein Rost war.

   Ein dünner Strahl silbernen Mondlichts fiel durch einen Riss in dem Fetzen aus dunklem Stoff, der als provisorischer Vorhang vor dem vergitterten Kellerfenster diente.

    Wieder tropfte Wasser vom Hahn.

    Ihr Blick wanderte im Raum umher und blieb schließlich an ihrem Mann hängen.

    Seine sonst strahlend blauen Augen waren getrübt.

    Sie hatte das Gefühl, dass er etwas sagen wollte. Vielleicht bildete sie es sich aber auch nur ein.

   Drogen – ja, so musste es sein. Die Drogen, oder eher ihre Nachwirkungen, die den Verstand noch fest im Griff behielten, wenn die eigentliche Wirkung längst verflogen war.

   Wasser tropfte vom Hahn – zweimal, ehe ihr Blick weiter wanderte. Er streifte Fesseln, die Handgelenke am Tisch fixierten und nackte Haut. Im Zwielicht des Kellers tat es fast weh, die blasse Haut zu betrachten, so hell war sie. Dann fiel ihr Blick auf die goldene Schale und schlagartig nahm sie den Geruch von Rost deutlicher wahr.

   Blut stand in der Schale, bis knapp unter den Rand – ihr Blut, soviel wusste sie noch. Und als ihr Blick das Tablett mit den fein sortierten, blitzenden chirurgischen Instrumenten traf, wusste sie wieder warum.

    Die Hände hatten begonnen sich in ihren Fesseln zu winden. Erst langsam, dann energischer.

    Wieder tropfte Wasser vom Hahn und der Aufprall des Tropfens dröhnte wie Paukenschlag.

    Ein Lächeln. Ein gottverdammtes „Alles wird gut! Keine Angst!“ – Lächeln.

    Ja, vielleicht würde es das. Vielleicht – für einen von ihnen. Und sie wusste für wen.

   Sie hätte nie gedacht, dass es einmal so enden würde. Wenn sie Glück hatte und es schnell ging, würden sie hoffentlich nicht viel von allem mitbekommen.

   Wie surreal dies alles war.

   Der Mann, den sie liebte und der sie damals in die Welt des Okkulten eingeführt hatte, würde heute ihr Tod sein.

    Wasser tropfte vom Hahn und schlug erbarmungslos im Becken auf.

     Es wurde Zeit.

   Der Mond stand richtig. Das Blut und die Instrumente lagen bereit. Ein kurzer Druck auf die Starttaste und der Kassettenrecorder spielte den vorbereiteten Text.

    Was noch fehlte, war ein Herz.

    Ihr Herz.

    Ohne ging es nicht, dass wusste sie – das war der Preis.

   Eile war geboten, denn die betäubende Wirkung ließ nach. Die gelähmte Zunge des Opfers lockerte sich und schleuderte wieder Laute in die Welt. Unartikuliert, hektisch, panisch, aber kämpferisch.

    Es half alles nichts. Der Preis war ein Herz.

    So war es.

    So ist es.

    So wird es sein.

    Auf ewig.

   Schwarze Magie ist eine Hure. Sie liebt dich nicht, auch wenn du es glaubst. Sie fügt sich dir zum Schein, solange du ihr nutzt – und solange, wie du den Preis zahlen kannst.

   Das Leben eines Geliebten, für das Leben eines Geliebten.

  Wasser tropfte vom Hahn. Der Aufprall traf mit dem ersten Schlag der Kirchturmuhr, weit draußen, zusammen. Mitternacht.

   Die Blicke zweier Liebender trafen sich ein letztes Mal und Tränen flossen.

   Tränen der Angst.

   Tränen der Liebe.

   Kalter Stahl schnitt in warme, weiße Haut. Rotes Fleisch teilte sich und warmes Blut quoll hervor. Es ran ihren nackten Leib hinab, doch sie spürte es nicht. Die Droge wirkte noch.

   Dafür war sie dankbar.

   Eigenartig, dachte sie. Dass ich einmal lächelnd sterben würde …

   Denn genau das tat sie.

   Ein letzter Schnitt.

   Die Uhr schlug zum achten Mal und wieder tropfte Wasser vom Hahn – so beständig, so unaufhaltsam, wie der Tod.

  Es war fast geschafft. Die Hand fuhr in ihr Innerstes und schloss sich beim zehnten Schlag um ihr schlagendes Herz.

  „Neeen!“, schrie ihr Mann und riss wie von Sinnen an den Fesseln, die ihn gebunden hielten. Die Betäubung hatte soweit nachgelassen, dass er mühsam sprechen konnte. „Du eh niht!“, schrie er unter Tränen und starrte seine Frau an.

    Sie würde ihm das Leben retten. Die unheilbare Krankheit besiegen. Doch zu welchem Preis?

    Das Leben eines Geliebten, für das Leben eines Geliebten.

    So wird es auf ewig sein.

   In dem Moment, da die Uhr ihren zwölften Schlag vollendete und der letzte Tropfen vom Wasserhahn fiel, da riss sie sich das Herz aus der Brust.

    Die Welt stand einen Moment still, als das Herz in die Schale fiel und das Ritual vollendet war.

    Und unter den Tränen der Liebe und der Erleichterung ahnte sie mehr, als dass sie wirklich hörte, wie ihre Lippen die Worte formten, die das Leben ausmachen.

    „Ich liebe dich!“